Motivationsschreiben mal anders

Ja. Was motiviert mich eigentlich? Das ist eine gute Frage. Im letzten Jahr verfasste ich dazu mal ein etwas anderes Motivationsschreiben, welches üblicherweise bei Initiativbewerbungen versendet wird. Das war eine interessante Erfahrung, die ich hier teilen möchte.

Ich würde gerne arbeiten, um jungen Erwachsenen “unter die Arme” zu greifen. Im Endeffekt ist das ganze allenfalls eine gut gemeinte Bemühung. Ob das, was ich tue in dieser Tätigkeit wirksam ist, werde ich nie eindeutig wissen. Ich kann keine Input-output Rechnung meiner zu leistenden oder bisher geleisteten Arbeit machen, kann am Ende des aktiven Berufslebens, unmöglich sagen, ob das ganze etwas gebracht hat. Trotzdem glaube ich daran, dass es richtig und wichtig ist und sich auch für die Gesellschaft sehr wohl rechnet.

Jetzt geht es aber darum, mich zu verorten und auf der Landkarte konkrete Ziele abzustecken. Die müssen stimmig sein mit den eigenen Werten und bedauerlicherweise wird das mit zunehmendem Alter schwieriger, wegen einer gewissen Sturheit vielleicht, vielleicht aber auch, weil man seine Unterschrift nicht mehr unter jeden Slogan, jedes Selbstverständnis einer Organisation oder selbst einer Idee setzen kann. 

Mein Weg in die soziale Arbeit

Ich habe relativ spät, mit 31 Jahren mein Studium abgeschlossen und bereits während des Studiums der Pädagogik und Anglistik immer wieder im sozialen Bereich und in Schulen als medienpädagogischer Mitarbeiter in Medienprojekten, aber auch in der Betreuung und Pflege von Alten, Kranken und immer wieder mit Jugendlichen gearbeitet. Das hatte auch damit zu tun, dass ich Geld verdienen musste und wollte, um später nicht auf horrenden Summen von Bafög Schulden sitzen zu bleiben. Eigentlich für meinen Abschluss mit einem akademischen und wenig praxisnahen Magister in Pädagogik ungewöhnlich bin ich relativ unkompliziert in Jugendfreizeiteinrichtungen sehr praktisch und hautnah mit der Jugend in Kontakt gekommen. Geholfen hat mir als Medienpädagoge auch ein Ausflug in journalistische Trainings und sogar Volontariat, wo ich wichtiges Handwerkszeug erwarb was ich später an Jugendliche weitergeben konnte.  Das alles mit viel Freude und Engagement und oft einer Bezahlung jenseits des Existenzminimums. Und natürlich half mir immer eine gewisse “credibility” durch unbezahlte Überstunden als Sänger in diversen Punkbands mit an die 500 absolvierten Konzerten in fast jeder Jugendclubtoilette in großen Teilen Europas. Karrierebestreben hat mich weniger motiviert als die Tatsache, mit Jugendlichen arbeiten zu können, Medien als Instrument zur Welterschließung zu verstehen und nebenbei nicht alt werden zu müssen, auch wenn das Setting der offenen Kinder- und Jugendarbeit oft anspruchsvoll, aber irgendwie immer authentisch war. 

Inspirierend waren Museumsbesuche mit Kindern und Jugendlichen aus schlechter gestellten sozioökonomischen Lebenslagen, die dann auch mal erkannten, dass das Bild von Andy Warhol im Kunstmuseum Essen gar nicht so weit weg war von deren ersten künstlerischen Siebdruck Experimenten. Ein Gefühl, zu merken, hier schaffe ich eine Brücke von einer Welt der Beengtheit und Problemen zu einer Welt der Möglichkeiten und Ideen. Soziale Arbeit mit Jugendliche als eine Art Brückenbau. Ja, das Bild gefiel mir und gefällt mir noch immer. 

Ein Kollege sagte mir damals einen Satz, den ich wie so viele in meinen Koffer voller Inspirationen packte:

“Letztendlich sind wir nicht Erzieher oder Pädagogen, sondern Befähiger.” 

Besser könnte man es nicht sagen.

Als ich in Berlin vor fast zehn Jahren angekommen bin, kam ich auch in der sozialen Arbeit an und habe dann hier die Leitung für ein Jugendkulturzentrum in Berlin-Lichtenberg übernommen. Skurril an der Tatsache war, dass ich als Anfang Zwanzigjähriger im gleichen Club, aber noch an anderer Stelle in Ost-Berlin Mitte der Neunziger ein Hardcore-Konzert mit meiner Band spielte. Eigentlich habe ich sowieso alles Wichtige im Leben bei Punk gelernt, aber das gehört hier nicht her. Jetzt kam ich jedenfalls an einen Ort meiner späten Jugend wieder zurück. Far Out. 

Auch diese Zeit war intensiv, voller Lernerfahrungen, vieler Konflikte, positive und negative Grenzerfahrungen, unzähligen Wochenenden bis in die Nacht, Rattenbefall, besoffene Jungpunks, spannende Theaterprojekte, Hände schmutzig machen bei DIY Musikfestivals, Diskussionen, Diskussionen, Diskussionen, aus Geldmangel Klo gemeinsam mit Jugendlichen putzen, Blumen pflanzen, Ehrenamtliche mit Fluchterfahrungen begleiten und betreuen, Teil einer Träger-Familie sein und so viel mehr. 

Später habe ich angehenden Erzieher:innen erzählt, dass Scheitern auch zu tiefer Erkenntnis führen kann, mehr als ein perfekt didaktisch-pädagogisches Ziel oder sauber formuliertes, durchgeplantes Projekt auf dem Papier. 

Irgendwann kam der Punkt, dass ich merkte, dass Energiereserven eben Reserven sind und nicht unendlich vorhanden sind und dass das Geschäft, und ich mag eigentlich den Begriff in diesem Kontext gar nicht verwenden, letztendlich ähnlich wie ein Unternehmen läuft. Es müssen Zahlen geliefert werden, Statistiken über Besucher:innen, deren Alter, sexuelle Orientierung, wie lange, wie oft, warum, woher sie kommen und was getan werden kann, damit sie öfter und regelmäßiger kommen. Soziale Träger, die leider miteinander konkurrieren müssen, um von den Geldgebern, die Jugendämtern oder anderen staatlichen Stellen Förderung zu bekommen, müssen Angebote machen und dann Zahlen liefern. Das lernte ich hier. Intensiv.

Jugendarbeit, das wurde mir auch klar, hat die denkbar schlechteste Lobby auf dem großen Feld der staatlich bezahlten und privat organisierten sozialen Angebotspalette. Daneben ist es ein schnelllebiges Geschäft, denn durch die Konkurrenz werden Projekte nur für in der Regel nicht mehr als zwei Jahre finanziert und müssen danach neu beantragt werden. Im schlechtesten Fall kann es dann passieren, dass ein Träger nach vielen Jahren mühseliger Aufbauarbeit plötzlich seine Mitarbeiter:innen von einem Jugendclub abziehen muss. Das bedeutet auch Beziehungsabbruch mit Jugendlichen, mit ehrenamtlichen Mitarbeitern, mit allem. Auf wie viele Jahre plant TESLA sein Werk? Sicher nicht für 2 Jahre. In meiner Branche kann niemand ernsthaft behaupten, sicher für mehr als 2 Jahre an einem festen Arbeitsplatz planen zu können.

Herausforderungen und Zahlen

Ich weiß nicht, wann es angefangen hat, dass ich irgendwie das Gefühl nicht loswurde, dass etwas komisch und nicht stimmig ist, sich nicht richtig anfühlt. Spätestens dann, als ich aus der Jugendklubarbeit, der wirklich intensiven Zeit, dann in eine Dozentenstelle kam und angefangen habe, Erzieher und Erzieherinnen auszubilden, wurde mir klar, Kalkuliert werden muss ich hier. Ich, bisher auf der anderen Seite tätig, habe mit meiner neuen Klientel Musikproberäume eingerichtet, Musikfestivals geplant oder Blumenbeete angelegt. Jetzt also die andere Seite, die für Nachschub sorgt an Fachkräften, sortieren und befähigen soll. Wenn ich meine Zweifel äußerte an einer gewissen “Tauglichkeit” von Studierenden, auch weil ich zum Teil es Ihnen gegenüber ungerecht fand, falsche Hoffnungen zu machen auf eine Tätigkeit, welcher sie niemals gewachsen waren, hieß es “Wir können nicht jeden, den wir für unqualifiziert halten, von der Schule schicken, auch wenn es so sein mag. Dann gibt es irgendwann kein Geld mehr, auch für unsere Stellen.”

Nicht selten wusste ich nicht, ob ich selbst gerade im Jugendclub oder in einer Lehrveranstaltung der Erwachsenenbildung war. Das machte manchmal sogar richtig Spaß, ich liebte die offene, ehrliche, unverblümte Art meiner Studierenden, ihre Direktheit, gerade wenn wir in hitzigen Diskussionen über Inklusion und Diversität stritten, was ich wichtig fand, da gerade zu diesem Themenkomplex und wegen dürftigen und zum Teil flachen Aussagen in den der Ausbildungsliteratur gestritten und diskutiert werden musste und muss. Wie oft musste eine Unterrichtssitzung dann mal spontan anders verlaufen, wenn einfach der Bedarf da war, über das Thema intensiver zu sprechen. Manchmal waren die Augen aber einfach nur leer oder verheult, weil “alles zu viel” war. Dann musste ich selber zum Berater werden, Ratschläge geben, eine Adresse für Beantragung von Wohnberechtigungsschein heraussuchen, zuhören, Zeit nehmen, da sein. Sehr in Erinnerung geblieben waren mir auch die Besuche in Museen und Workshops zu Rassismus und Gerechtigkeit oder ein Rollenspiel zum Thema Flucht, welches richtig unter die Haut ging. Ich hatte viele solcher Erlebnisse.

Zurück in der Dimension der Ansprüche an meine berufliche Rolle und Funktion, welche an mich gestellt wurden, in diesem Fall als Lehrkraft auf Probe. Da merkte ich diese Diskrepanz: Zwischen den Ansprüchen an mich und meine Kollegen und Kolleginnen, leider auch eine gewisse Durchwinkmentalität weil wir Studierende gleich eine Art Kunde bzw Kundin, und dem, was von mir dann irgendwann als Kür verlangt wurde, und zwar in exakt 30 Minuten eine perfekt orchestrierte Unterrichts Performance abzuliefern mit einem bis ins letzte Detail ausgearbeiteten Unterrichtsentwurf auf dem Niveau eines Lehramtsstudenten, alles um dem strengen, didaktisch und methodisch gnadenlosen Blick der Senatsbeauftragten zu genügen, egal was ich in den 2 Jahren davor in dieser Stelle geleistet hatte, nicht berücksichtigt selbstverständlich meine “Berufserfahrung” und weitere Jahre als Dozent, Trainer, Berater etc. Nichts davon spielte eine Rolle. Meine berufliche Zukunft reduziert auf 30 Minuten. Alles oder nichts. 

Nachdem ich dann nach zunächst mündlicher Abnahme meiner Stunde eine fast schon boshaft schlecht terminierter Aufforderung bekommen hatte, es nochmal zu überarbeiten, dann ein zweites Mal komplett zu überarbeiten, nachdem ich also viele Jahre vor den Studierenden gestanden habe, mit ihnen gerungen, sie letztendlich mit in die Berufswelt entlassen habe, da hatte ich dann irgendwann eins: die Schnauze voll.

Das war übrigens die Zeit, während der ich auch in Teilzeit (ich hatte 2 Jobs) mit Brennpunkt-Jugendlichen in einer anderen Stelle in einer Berufsschule damit beschäftigt war, gemeinsam Praktikumsstellen zu suchen und beim Bewerbungsschreiben zu helfen, oft gegen eine gelernte Hilflosigkeit, Frustration, mangelnde Selbstkompetenzen und ganz viel Wut und zum Teil schlechte Manieren anzukämpfen.  Auch hier in einem befristeten, in keinster Weise nachhaltigen Projekt, finanziert für zunächst ein Jahr, für Jugendliche mit negativen Bildungsbiografien, zum Teil wochenlang abgetaucht in beengten Wohnverhältnissen, virtuellen Welten und innerlich in einzelnen Fällen in einer Welt zwischen Bürgergeld und lukrativer Schwarzarbeit eigentlich schon angekommen.

Zum Teil frustrierend, aber am Ende gab es in der feierlichen Abschlussveranstaltung schöne Worte und das Gefühl, doch irgendwie “Erfolg” gehabt zu haben, obwohl die Hälfte von 120 Schülern und Schülerinnen am Ende dabei waren. Wo sie gelandet sind, Ausbildung oder Praktikum, ob sie das durchhalten, darüber machten sich viele Lehrkräfte nur wenig Hoffnung. Ein Kollege, der wie ich bei dem gleichen Träger im gleichen Projekt an einem anderen Standort arbeitete, fasste es so zusammen. Hauptsache es gibt irgendein Zertifikat, schöne, aufbauende Worte und immer das Gefühl, doch irgendwie was tolles geleistet zu haben. 

„Am Ende wollen und müssen alle, auch in der sozialen Arbeit, immer gut aussehen. Alles muss immer eine Erfolgsgeschichte sein nach außen.“ 

In einem Interview auf eine Jugendberatungsstelle, wo es darum ging, Jugendliche zu coachen, die weder Ausbildungsplatz noch sonstige Perspektive haben, erfahre ich im Bewerbungsgespräch von einer Mitarbeiterin relativ freimütig, dass eigentlich die Jugendlichen gar nicht mehr wirklich kommen, da aufgrund der Veränderung von Hartz IV auf Bürgergeld anscheinend ein gewisser Druck nicht mehr da ist, überhaupt zu Terminen erscheinen zu müssen, da so gut wie keine Sanktionen drohen. Ich kann das nicht hundertprozentig überprüfen, da es dazu verschiedene Aussagen gibt. Vorab werde ich gefragt, wie ich denn mit schwierigen Verhalten von jungen Erwachsenen umgehen würde, wenn diese sich weigern. Ich stehe natürlich hinter dem Prinzip der Freiwilligkeit.

Andererseits weiß ich, dass aber der Träger, der dieses Projekt leitet, eine gewisse Stellenanzahl an pädagogischen Fachkräften gegenüber dem Geldgeber vorweisen muss, um den finanziellen Zuschuss zu erhalten. Das heißt, der Träger ist auch in der Aufgabe, Fachkräfte einzustellen, damit zumindest vorgewiesen werden kann, dass genug Fachkräfte da sind. 

Spinnen wir etwas herum. Sagen wir, und das wissen sie sicherlich, das Ziel eines Projekts ist laut Konzeption, innerhalb eines Jahres 50-60 junge Erwachsene zu erreichen. Im Endeffekt muss ein Bruchteil dieser Gruppe, sagen wir 15 %, irgendwie erfolgreich vermittelt werden. Erfolgreich vermittelt heißt: raus aus der Statistik, in irgendeinem Praktikum oder besser Ausbildung zu landen, auch wenn niemand fragt, was danach passiert, wie NACHHALTIG das Ganze ist, ob die Person das überhaupt durchhält. Stattdessen pflegen wir die Akten und können am Ende irgendwas vorweisen. Und irgendwelche Slogans vergeben. Win-Win zum Beispiel.

Als möglicher neuer pädagogischer Mitarbeiter habe ich vor allem in den Projekten, die mir vorgestellt wurden, den Eindruck bekommen, dass die Messlatte entweder schon so niedrig angesetzt wird, weil man eigentlich, und das ist mehr als eine Vermutung, schon gar nicht mehr daran glaubt, dass man überhaupt den großen Wurf macht. Man hat resigniert und anerkannt, dass die soziale Situation so pessimistisch vorherbestimmt ist, dass es eigentlich gar keine Möglichkeit gibt, noch den großen Wurf zu machen. Kleine Brötchen backen, das ist schon ein Riesenerfolg. Sich auf die konzentrieren, die Bock haben, mitmachen, die weiter kommen. Das ist die generelle Stoßrichtung. Und diese Geschichten dann nach außen kommunizieren. Erfolgsgeschichten sind die Drogen in der sozialen Jugendarbeit. Verständlich, was würde ich anders machen? Ich habe auch keine Lust auf Frust. 

Oder die andere Variante: wir müssen irgendwie das Projekt voll kriegen egal wie (und egal, ob das am Ende der betreffenden Person etwas bringt) weil wir sonst kein Geld mehr bekommen oder noch bitterer, es wird wieder zurück überweisen, weil irgendeine Vorschrift, irgendein hoch komplizierter Geldtopf und zig andere Absurditäten das erfordern. 

“Weißt du, unser Job ist eigentlich der, dass wir irgendwann nicht mehr gebraucht werden sollen. Eigentlich ist meine Aufgabe die, dass ich irgendwann überflüssig werde.”

Auch so eine axiomatische Wahrheit, die mir ein Kollege mal offenbart hat und die ich in meiner privaten Schatzkiste hege und pflege.

Stattdessen aber haben wir mittlerweile ein System mit Strukturen geschaffen, in dem alle gute Nachrichten liefern müssen, um überhaupt zu überleben. Unzählige Träger, mit Visionen, Leitbildern, Facebook Seiten, Imagevideos und was weiß ich, die aber schlussendlich irgendwie versuchen, sich über Wasser zu halten, indem sie sich auf das Anbieten rechtlich verbriefter sozialer Leistungen in Projekten bewerben, sich zum Teil ein Polster anlegen können, aber schlussendlich in diesem System gefangen sind und gute Nachrichten liefern müssen. 

Auch ich musste am Ende einfach nur liefern, um letztendlich eine Legitimation für eine Tätigkeit als Lehrkraft zu bekommen, obwohl ich in diesem Bereich fast schon 5 Jahre “auf Probe” gearbeitet habe. Anscheinend wollte dann doch jemand, dass ich es mir so richtig verdiene.

Eine der absurdesten Erfahrungen in der Lehrtätigkeit bei den angehenden Fachkräften war es übrigens, Noten zu vergeben. Die Studierenden waren gerade zu gierig danach, von mir ihre Noten zu bekommen, ganz im Sinne ihrer früheren Schulsozialisation hatten sie noch immer tief in sich die Vorstellung internalisiert, dass auch in ihrer Ausbildung als angehende “Befähiger” und “Befähigerinnen” diese eine Zahl auf dem Zeugnis alles aussagt. Aber was soll denn eine 2 in Diversität und Inklusion aussagen? Dass jemand das gut oder sehr gut, mittelmäßig oder mangelhaft verstanden hat? Auch hier ist das System seltsam: anstatt gerade in diesem Ausbildungs Setting mal etwas ganz Ungewöhnliches zu wagen und durchaus dem beruflichen Anspruch gerecht zu werden, dass Menschen eben nicht einfach bewertet werden, sondern sich sehr viel stärker aus sich selbst heraus bewerten sollten, weil sie in einem Umfeld arbeiten werden, in welchem sie andere Menschen ermutigen, befähigen sollen, ihre Ressourcen zu sehen, zählen am Ende wieder diese Zahlen, was auch einer der Gründe war, warum ich im Nachhinein sogar ein wenig dankbar dafür bin, dass diese Tätigkeit nun hinter mir liegt. (Interessant waren hier die Diskussionen, gerade wenn die Noten brenzlig wurden. Oft wurde dann aus Bequemlichkeit eine bessere Note gegeben, vermutlich spielte auch der Erziehermangel eine Rolle. Ich weiß es nicht und ich will es auch nicht mehr wissen. Ich wäre aber dafür, dass sich die Studierenden in Zukunft konsequent nur noch selbst bewerten sollten und ihren eigenen Fortschritt reflektieren.)

Zurückschauen und nach vorne bewegen

Wo hat die Reise hier angefangen und womit will ich diese Reflexion beenden? Ich ende, wo ich angefangen habe. Alles in diesem Feld der Betätigung ist nichts weiter als Bemühung, ein Versuch, Verhältnisse zu beeinflussen und gegen eine schleichende Entwicklung hin zu Ignoranz, Intoleranz, Ungerechtigkeit, Boshaftigkeit, Verwahrlosung, innere Resignation zu arbeiten, etwas dagegenzusetzen. “Everyday I try again to put something against.” hab ich irgendwann mit Anfang zwanzig mal getextet, naiv und noch unwissend, was das mal für mich bedeuten sollte. 

Wirksam oder nicht, das kann am Ende niemand bewerten. Es wäre aber schön, wenn es mehr ehrliche Bestandsaufnahmen und weniger Klammern an falschen Vorstellungen existieren würde und diese vielen Zahlenspiele, die oft der Schönfärberei geopfert werden, mal ersetzt werden durch Ehrlichkeit und Denken in größeren, systemischen Zusammenhängen. Vor allem wünsche ich mir von einem neuen Arbeitgeber in diesem wirklich ausgedachten System Ehrlichkeit und Transparenz und den Mut, das Konkurrenzdenken oder was ich noch schlimmer finde, das „Sozialkarrieristentum“, zu überwinden und mit dem Zwang nach guten Nachrichten aufzuhören. 

“Niemand ist nutzlos in dieser Welt, der einem anderen die Bürde leichter macht.” (Charles Dickens)

Keiner von uns will sich vorstellen, wie eine Gesellschaft ohne eine soziale Infrastruktur wäre. Eine Barbarei. Es macht für mich weiter Sinn, dabei zu bleiben, einfach nur aus Prinzip, dagegenhalten, die Infrastruktur und die Angebote mit am Laufen zu halten, weil es nicht nur junge Menschen verdienen, dass sie unterstützt werden bei ihrer inneren Aufrichtung. Es geht um eine Gesellschaft, in der auch ich mich wohler fühle, wenn mehr aufgerichtete Menschen um mich herum existieren. Aber dafür würde ich gerne das Gefühl haben, dass dieses Dagegenhalten gemeinsamer Konsens ist, dass wir die Messlatte hoch hängen und durchaus politisch Stellung beziehen, statt Sektkorken knallen zu lassen, wenn ein weiterer “Auftrag” an Land gezogen wird. Seine Arbeit feiern, ja. Aber Schluss mit dem Zwang nach guten Nachrichten, der Angstmacherei vor dem Jobverlust, weil die Finanzierung ausläuft, die Würdelosigkeit die das zur Folge hat, die Dynamik die daraus entsteht, einfach nur verzweifelt Zahlen liefern zu müssen, statt sich um die Qualität zu kümmern, das was wirklich zählt.

In diesem Sinne freue ich mich auf unsere Zusammenarbeit für die Gestaltung der Zukunft. Vielleicht sind sie anders, vielleicht hat dieser Text etwas bei Ihnen angestoßen, über das wir mal gemeinsam laut nachdenken können, abseits des Tagesgeschäftes. Das würde mich nicht nur freuen, dafür stehe ich als ein Partner und Mit-Befähiger an Ihrer Seite.

Raoul Festante