Die Welt als Werkstatt und Experimentierfeld

Manchmal hilft es, das Leben aus einer neuen Perspektive zu betrachten – zum Beispiel als Werkstatt. Als einen Raum, der niemals fertig ist, als Möglichkeitsfeld, in dem du ausprobieren, gestalten und experimentieren kannst und darfst. Dieser Gedanke mag ungewöhnlich erscheinen, aber er spiegelt unsere Realität wider: Die Welt – und damit meine ich auch die Arbeitswelt – ist ständig im Wandel, im Umbau, immer unfertig.

Die Werkstatt um uns herum

Nimm eine Stadt wie Berlin: Baustellen sind allgegenwärtig, Gebäude werden abgerissen, andere entstehen. Es wird ständig etwas ausprobiert, verbessert oder neu gedacht. Dasselbe gilt für die Räume, in denen wir leben und arbeiten. In meiner Arbeit habe ich erlebt, wie Räume durch kleine Eingriffe zu etwas völlig Neuem werden konnten – zu Möglichkeitsräumen.

Ein Beispiel dafür war ein Jugendclub, in dem ich gearbeitet habe. Dort gab es eine Wand, die wir als Übungsfläche für Graffiti genutzt haben. Nach jeder Session wurde sie weiß gestrichen, bereit für die nächste Idee und so weiter. Nach jedem Kunstwerk kam ein neues, immer nur für einen Moment aber das war gerade das Besondere. Der gesamte Club war wie eine Werkstatt: Im Keller entstand ein kleines Tonstudio, indem wir Wände einrissen und Platz schufen. Diese Räume waren nicht einfach nur Räume – sie wurden zu Experimentierfeldern. Abgefahren, oder.

Der Mensch als Gestalter

Das Konzept der Werkstatt lässt sich weiterdenken. Eine künstlerische Person sieht in einem leeren Raum nicht nur Wände, sondern eine Bühne für seine Kreativität. Sie füllt ihn mit Werkzeugen, Farben und Ideen und legt einfach los. Dann entstehen plötzlich „Produkte“ und die werden weitergereicht aus diesem Raum heraus. Und wenn wir das Bild auf die Welt übertragen, wird klar: Auch sie ist ein Raum, den wir gestalten können.

Dabei stellt sich nicht nur die Frage, was wir erschaffen, sondern vor allem, wie. Das „Wie“ ist oft wichtiger als das „Was“. Titel und Zertifikate können eine Leistung bestätigen, aber sie sind nicht entscheidend. Als ich meinen Führerschein gemacht habe, war das Zertifikat nur der Startpunkt. Fahren gelernt habe ich erst danach, im echten Leben. Was wirklich zählt, ist daher die Haltung, mit der wir an Aufgaben herangehen – die Motivation, die Sorgfalt, die Kreativität.

Die Welt als organisches System

Wenn wir die Welt als Werkstatt betrachten, sehen wir auch ihre Wandelbarkeit. Nichts ist starr, alles verändert sich. Das, was wir heute für selbstverständlich halten – wie Arbeitszeit gegen Geld zu tauschen – könnte morgen schon obsolet sein.

Auch zeigt sich, dass alles miteinander verbunden ist. Jede Arbeit, jede Funktion im System hat ihren Platz – ob Gebäudereinigung, Kunst oder Wissenschaft. Der Wert einer Tätigkeit liegt nicht in ihrer Bezeichnung, sondern in ihrem Beitrag zum Ganzen.

Was wäre also, wenn wir uns von diesen dummen engen Vorstellungen über Erfolg und Karriere befreien könnten? Wenn wir Arbeitsorte als Spielwiesen begreifen und die Welt als gestaltbaren Raum sehen könnten? In einer Werkstatt gibt es kein festes Endprodukt, nur den Prozess. So ist auch unser Leben, oder?

Dann wäre es doch wunderbar, wenn wir so vorgehen: neugierig, kreativ und mit der Bereitschaft, Fehler zu machen. Denn am Ende zählt nicht der Titel, den wir tragen, sondern die Haltung, mit der wir die Welt formen.