KEIN WACHSTUM OHNE REIBUNG

Neulich schrieb ich einen Kommentar – wertschätzend, klar, aber kritisch. Kurz darauf wurde ich blockiert. Das war’s. Keine Möglichkeit mehr, zu antworten oder das Gespräch fortzusetzen. Innerhalb weniger Stunden kippte der Austausch in ein autoritäres „Jetzt reicht’s, basta“.

Was mir bei Influencer-Profilen besonders auffällt, ist dieses gnadenlose Sich-selbst-Vermarkten, die Verschmelzung zwischen der eigenen Person und der Marke, die geschaffen wird. Gleichzeitig das starke Bedürfnis, diese Bühne zu kontrollieren. Denn jede Form von Kritik trifft nicht nur die Marke, sondern auch die Person. Es gibt also meist nur die Möglichkeit, in einem wohlwollenden Ton miteinander zu reden – was gerade in einer echten Diskussion nicht funktioniert.

Ein weiteres Problem ist die damit verbundene Gereiztheit. Wenn ich mich ständig nach außen präsentieren muss, wenn meine Marke und meine Person ineinanderfließen, dann werde ich empfindlich. Kritik trifft mich nicht mehr in der Sache, sondern in meiner Identität. Deshalb funktionieren viele Diskussionen, vor allem mit reichweitenstarken Influencern, am Ende nur noch als Scheindebatten.

Das Ziel solcher Kommunikation ist selten Aufrichtigkeit oder Erkenntnis – es geht natürlich um Reichweite, Klicks und Kontrolle. Diese Aufmerksamkeit wird zur Währung, Zustimmung zum Maßstab.
Alles, was nicht ins Selbstbild passt, wird als Kränkung empfunden. Kritik in der Sache ist nicht mehr möglich, weil sie als persönlicher Angriff gelesen wird.

Und wer sich selbst zur Marke macht, produziert damit auch seine eigene Wahrheit – und errichtet in diesem Raum ein Machtverhältnis. Dann noch zu glauben, dass Reichweite mit Wahrheit gleichzusetzen ist, ist der komplette Irrtum. Alles wird reguliert – auch der Dialog. Offenheit gilt nur, solange sie die Identität nicht berührt.

Gerade in einer offenen, demokratischen Gesellschaft muss es möglich sein, Widerspruch auszuhalten, ohne dass Empfindlichkeit sofort in Moralismus umschlägt. Wenn Gefühle zur Waffe werden und Kritik zum Tabu, ist das nichts anderes als eine versteckte Form von autoritärem Glut zerdrücken. Nur da, wo Reibung ist, kann hingegen auch etwas Wahres entstehen.