Was bedeutet eigentlich Normalität? Ein Begriff, der mir immer wieder den Kopf zerbricht.
Fangen wir einfach bei mir an. Wie könnte ich hier eine Norm definieren, wenn ich mich selbst betrachte? Es gibt ja diese Theorien über das perfekte Verhältnis zwischen Augen, Nase und Mund, und jährlich finden Schönheitswettbewerbe statt, die eine Art „Norm“ präsentieren, eine Norm, die dann Schönheit definieren soll. Doch an diesem Punkt muss ich mich schon fragen: Wer legt eigentlich fest, was wirklich schön oder normal ist? Wer entscheidet das für alle?
Lass uns einmal durch die Straßen gehen, durch belebte Einkaufszentren und Parks, und auf das „normale“ Leben blicken. Was wir sehen, scheint uns selbstverständlich – Menschen, die einkaufen, sich treffen, lachen. Doch wenn wir die Oberfläche durchbrechen, treten die Widersprüche unserer Welt zutage. Stellen wir uns vor, wir führen eine Umfrage durch und fragen jede Person, wie es um ihre psychische Gesundheit bestellt ist. Die Antworten würden uns wahrscheinlich überraschen. Es ist gut möglich, dass eine erhebliche Anzahl dieser Menschen mit unsichtbaren Kämpfen ringt, die wir ihnen nie angesehen hätten. Oder wir könnten ähnliche körperliche Leiden finden, wie Diabetes oder andere Zivilisationskrankheiten, die sich unter der vermeintlichen „Normalität“ verbergen.
Es ist ein merkwürdiges Bild: Wir bewegen uns in einer Stadt, in einer Gesellschaft, die auf den ersten Blick geordnet und stabil wirkt oder versucht so zu wirken, nur um festzustellen, dass das Bild täuscht. Die Realität ist weit komplexer, mit Schichten von Erfahrungen und inneren Konflikten, die oft verborgen bleiben.
Worauf gründen wir also unsere Vorstellung von Normalität? Man könnte auf Statistiken und gesellschaftliche Normen verweisen, auf Werte und Traditionen, die uns sagen, wie die Dinge zu sein haben. Doch solche Messlatten sind willkürlich und unterliegen ständiger Veränderung. Was heute als „normal“ gilt, könnte morgen als Anomalie betrachtet werden.
Perspektivwechsel
Manchmal hilft es, die Vogelperspektive einzunehmen, sich von den Prägungen des Alltags zu lösen und die Dinge neu zu betrachten. Stell dir vor, du wärst ein Alien, das plötzlich auf der Erde erwacht und sich in das Leben eines durchschnittlichen Menschen begibt. Du gehst zur Schule, triffst Freunde, verbringst Zeit mit Aufgaben, die dir die Gesellschaft vorgibt. Betrachtest du alles durch diese frische Linse, wird die Alltäglichkeit auf einmal seltsam und hinterfragbar. Muss es so sein? Könnte das Leben auch ganz anders verlaufen, wenn man nur den Mut hätte, das Gewohnte zu hinterfragen?
In der Yoga-Tradition ist dieser Perspektivwechsel eine wichtige Methode, um die wahre Identität zu entdecken. Der Mensch wird als Mischung aus Prägungen und Umwelteinflüssen verstanden, aber auch als Wesen mit einem freien Willen, das in der Lage ist, ausgetretene Pfade zu verlassen. Diese Fähigkeit, sich über die gewohnten Muster hinaus zu entwickeln, ist der Grund, warum Menschen irgendwann beginnen, gegen gewisse Zustände zu protestieren oder sich nach Veränderung zu sehnen.
Unsere Welt gleicht dabei einem großen Jahrmarkt mit zahllosen Attraktionen, Lichtern und Verlockungen. Seit Jahrtausenden gestalten wir diesen Jahrmarkt neu, setzen Regeln, schaffen Normen und sagen uns, was sicher ist und was man besser vermeiden sollte. Doch wie jeder Jahrmarkt, so trägt auch unsere Gesellschaft den Schatten der Vergänglichkeit in sich.
Ich möchte an dieser Stelle betonen: Es ist ein Geschenk, in einer Gesellschaft zu leben, die Sicherheit bietet und in der grundlegende Dinge wie sauberes Trinkwasser und ein Gesundheitswesen zur Verfügung stehen. Aber gleichzeitig müssen wir erkennen, dass dieses System, so gut es ist, immer noch seine Widersprüche hat. Ärzte haben immer weniger Zeit, die Warteschlangen werden länger. Und trotzdem stellen wir uns nie wirklich die Frage, ob das, was als „normal“ gilt, auch wirklich so bleiben muss.
Wo Licht ist, ist auch immer Schatten.
Und vielleicht ist es an der Zeit, den Schatten zu sehen und die Fragen zu stellen, die wir so lange verdrängt haben.