„ÜBER DAS DUMME“ – Reflexion zur Legalisierung von Drogen

Es ist eine Erleichterung, dass die Kriminalisierung von Drogenkonsum langsam verschwindet. Menschen werden nicht mehr wegen ein paar Gramm verfolgt, nicht mehr sinnlosen Schikanen ausgesetzt. Aber in diesem Fortschritt sehe ich auch einen Verlust: den Verlust eines Ideals.Denn Drogen sind bestenfalls eine Krücke, eine Methode, um Schwierigkeiten zu überbrücken, wenn uns die Fähigkeit fehlt, mit uns selbst ins Gespräch zu kommen, unsere Gefühle zu erkennen und sie konstruktiv zu verarbeiten. Dass Drogen heute als Teil der Freizeitgestaltung, als Selbstmedikation oder Stressventil gelten, ist eine Realität. Doch Realität ist kein Naturgesetz. Sie ist etwas, das wir geschaffen haben – und das wir ändern könnten.

Es ist diese Resignation. Die Botschaft, dass Jugendliche sowieso konsumieren, dass wir sie nicht davon abhalten können, und dass wir das akzeptieren müssen. Diese Haltung ist kein Fortschritt. Es ist Kapitulation. Ich glaube daran, dass ein Leben frei von Drogen möglich ist – und dass es ein Ideal ist, das wir nicht aufgeben sollten. Nicht, weil ich naiv bin, sondern weil ich weiß, dass es funktioniert. Ich habe selbst eine Jugend ohne Drogen erlebt: Freundschaften, Musik, Reisen, Abenteuer – ein erfülltes Leben ohne Substanzen. Es war keine Utopie. Es war Realität. 

Wir müssten die Dinge nehmen, wie sie sind. Wir müssen die Realität akzeptieren. Aber warum? Warum sollten wir uns abfinden mit einer Kultur, die uns zu Glücksmaschinen degradiert, die uns einredet, dass wir ohne Hilfsmittel nicht auskommen?

Ideale sind nicht dazu da, dass wir sie bequem erreichen. Sie sind Orientierung, Hoffnung, Bewegung. Ernst Bloch nennt es „tätiges Hoffen“: der Glaube an eine bessere Zukunft, die wir noch nicht sehen, aber gestalten können. Ich bin gegen die Akzeptanz von Drogen, weil ich an diese Bewegung glaube. Nicht an Schikane oder Verbote, sondern an die Möglichkeit, Verhältnisse zu verändern. Es geht darum, junge Menschen nicht klein zu halten, indem wir ihnen einreden, dass ein drogenfreies Leben unmöglich sei.

Vor vielen Jahren kam mir dieser Text wieder in den Sinn, welcher Teil eines Begleitheftes zum Theaterstück MENSCH ICH LIEBE DICH DOCH (1980, in Berlin im Theater ROTE GRÜTZE aufgeführt) war. Darin geht es um das Thema Drogenkonsum, Worte wie Fixer sind wohl heute weniger Teil des Sprachgebrauchs, aktuell ist der Text immer noch.


ÜBER DAS DUMME

Ich muss mich jeden Tag entschließen, mich kräftig zu lieben. Genauer und liebevoller auf mich hören. Was gegen dieses Scheißrauschgift hilft, ist, sich wirklich ernstnehmen. 

Diese zwei dummen Arten, sich um sein Leben zu betrügen: Die rückhaltlose Anpassung, die zur Mittelmäßigkeit wird, oder: Die Verweigerung. Es kommt aufs gleiche raus: Daß alles so bleibt. Daß sich nichts ändert. Weil ich nichts ändere. Weil ich mich nicht annehme, um mich zu ändern. 

Bevor ich mich hab, flüchte ich vor mir mit verbotenen Fluchtmitteln. Der übliche Fluchtweg ist die verordnete Anpassung. Die Scheiße ist, daß diese beiden Dinge so penetrant angeboten werden: Das dumme Mitmachen oder das dumme Überhaupt-nichts-mehr-machen. 

Das ist überhaupt ein ekelhafter Trick, dass das andere, das, was du selber machen kannst, so wenig gelernt wird, dass als Alternative nur das Aussteigen sinnvoll erscheint. (So, als wäre nur das Sinnlose angemessen). 

Wir müssen das entsetzlich Dumme zeigen beim Rauschgift. Die Abschaltung. Das Ungefährlichwerden. Die Gesellschaft wehrt sich gegen den Drogenkram, weil es anfängt, vom Kosten-Nutzen-Standpunkt aus idiotisch zu werden. Weil es sozial-hygienisch nicht mehr vertretbar erscheint. Politisch sind die Rauschgiftsüchtigen wahrscheinlich für die Verwalter des Elends bequemer als Leute, bei denen die Wut anfängt, Haltung und Handlung zu werden. 

Wenn du von deinen Eltern beschädigt oder beleidigt worden bist und dich einschließt, gekränkt, in dein Zimmer, dein Spielzeug zertrümmerst. Wenn ich mich selbst verletze. Das ist brav bis zur Selbstzerstörung. Fixen ist brav. Die Alternative zum Fixen ist Frechsein. Auf Frechsein steht Strafe. Eh manch einer frech wird, oder seine Frechheit durchhält, sagt er sich: „Ach Mann! Hat doch keinen Zweck! Ich sag mal: ohne mich!“ Schon ist er beim ersten Stich. Wenn du fixst, hast du das Urteil der andern angenommen, das:

„Du bist eigentlich nix“. 

Gibt es nicht weiter Grund zu rebellieren? Nicht nur gegen Drogen, sondern auch gegen die Kultur, die sie auch im Jahr 2024 anscheinend für viele junge Menschen notwendig machen?