Die MACHT DER ROUTINE

Warum kann es manchmal Freude bereiten, auch völlig stupide, routinierte Aufgaben auszuführen? Auf den ersten Blick mag das widersprüchlich erscheinen. Schließlich glauben viele von uns – und vielleicht geht es dir genauso –, dass Arbeit abwechslungsreich und kreativ sein sollte, um erfüllend zu sein. Sicherlich sind wir Menschen nicht dafür geschaffen, immer und immer wieder das Gleiche in identischer Abfolge zu tun. Doch ist Routine wirklich so negativ, wie ihr Ruf vermuten lässt? Ich glaube nicht. Im Gegenteil: Sie birgt eine oft übersehene Stärke.

Eine kleine Geschichte dazu: Vor ein paar Jahren beschloss ich, das Siebdrucken zu lernen. Ich war fasziniert von der Idee, eigenhändig Motive auf Stoffe zu bringen. Also brachte ich es mir selbst bei – zu Hause, Schritt für Schritt. Anfangs war es frustrierend. Das Siebdrucken verlangt Präzision und Geduld: Ein Sieb muss erst beschichtet, dann getrocknet, anschließend belichtet und schließlich für den Druck vorbereitet werden. Jeder dieser Schritte kann misslingen, und ich musste das schmerzlich erfahren. Mal war die Beschichtung fehlerhaft, mal die Belichtungszeit falsch. Wochenlang scheiterte ich, entschichtete, beschichtete und belichtete aufs Neue.

Doch dann geschah etwas Interessantes: Die Wiederholungen führten zu einer Art Sicherheit. Mit jeder kleinen Korrektur gewann ich Vertrauen in meine Hände und in den Prozess. Irgendwann wurden die Abläufe fließender, fast mühelos. Die Routine, die mich anfangs genervt hatte, wurde zu einem Anker. Sie ermöglichte mir, mich zu entspannen, während ich die Arbeit ausführte. Und genau in diesem Zustand des „Einfach-Machens“ entdeckte ich etwas Unerwartetes: eine stille Freude.

Das Spannende ist, dass Routine nicht Stillstand bedeuten muss. Ganz im Gegenteil: Wenn wir eine Tätigkeit so oft wiederholen, dass sie uns in Fleisch und Blut übergeht, gewinnen wir eine Freiheit, die vorher undenkbar war. Ein Musiker lernt erst die Noten und Akkorde, bevor er improvisieren kann. Eine Tänzerin trainiert unermüdlich Grundschritte, um später auf der Bühne frei und spielerisch zu tanzen. Routine schenkt uns diese Basis – einen Raum, in dem wir uns bewegen können, ohne ständig nachzudenken.

Natürlich hat Routine ihre Grenzen. Wenn sie zum Selbstzweck wird, kann sie uns gefangen halten. Doch sie besitzt auch eine andere Seite: Sie erlaubt uns, uns zu vertiefen und mit Hingabe zu arbeiten. Besonders in herausfordernden Zeiten kann Routine ein rettender Anker sein. Für mich war es damals das tägliche Yoga, die Meditation und das bewusste Strukturieren meines Tages. Diese kleinen Rituale hielten mich geerdet, während um mich herum vieles unsicher blieb.

Vielleicht ist es an der Zeit, Routinen neu zu betrachten – nicht als monotone Pflichten, sondern als stille Helfer. Sie können uns dabei unterstützen, Stabilität zu finden, wo Chaos droht. Und sie können uns zeigen, dass auch im Einfachen eine gewisse Schönheit liegt.

Was wäre, wenn wir diese stupiden Aufgaben, die uns manchmal so schwerfallen, nicht nur akzeptieren, sondern vielleicht sogar umarmen würden? Was könnten wir dabei über uns selbst lernen? Und wie könnten wir durch sie wachsen? Routine mag uns auf den ersten Blick begrenzen, aber vielleicht ist sie genau das, was wir brauchen, um wirklich frei zu sein.