Was wäre eigentlich, wenn wir uns vorstellen würden, dass diese Welt genau an dem Tag, an dem wir aus ihr heraustreten, enden würde?
Eine absurde Vorstellung – denn es wird nicht so eintreten. Fakt ist: Wenn wir in dieser Welt geboren werden, existiert sie bereits. Und auch wenn wir sie verlassen, wird sie höchstwahrscheinlich weiter existieren. Dieser Gedanke, so banal er klingt, ist im Grunde ein sehr wesentlicher – einer, den ich auch in meinem Buch zu vermitteln versuche.
Die politische Philosophin Hannah Arendt beschreibt in Vita Activa den öffentlichen Raum als den Ort, an dem wir Menschen wirken – also das, was wir gemeinsam teilen –, als jenen Ort, an dem wir als Handelnde, als Sprechende und aktive Individuen in die Welt treten und sie teilen.
Er gehört allen und ist das, was zwischen uns existiert – so wie die öffentlichen Verkehrsmittel, die Straßen, Krankenhäuser, Parks, Institutionen, Orte des Aufeinandertreffens.
Wir teilen einen Raum, den wir gemeinsam nutzen, und bleiben dabei dennoch wir selbst – wie an einem Tisch, an dem wir gemeinsam sitzen und trotzdem eigenständig bleiben. Eigentlich ein faszinierender Gedanke, oder?
Ein Problem entsteht, so Arendt, wenn dieser Tisch zwischen uns plötzlich verschwindet und wir aufstehen, ohne diese Struktur zu haben, die uns Abstand und Beteiligung ermöglicht.
In der Massengesellschaft sieht Arendt hier eine Tendenz zum Verschwinden dieser Tische, in der gemeinsame Vereinbarungen zur Nutzung des öffentlichen Raumes verschwinden und es weder klare Trennungen noch klare Definitionen von verbindlichen Nutzungsvereinbarungen für diesen öffentlichen Raum mehr gibt.
Talking about rücksichtsloses Arschlochtum – oder, abstrakter gesagt, über die Verweigerung zu verbindlichen Verständigungen und Kompromissbereitschaft bei der Nutzung des öffentlichen Raums.
Wir verweilen eine Zeit lang in dieser Welt, bauen vielleicht etwas dazu und treten schließlich wieder aus ihr heraus – in dem Wissen, dass andere nach uns kommen und dasselbe tun werden (müssen).
Als menschliche Wesen zeichnet uns aus, dass wir durch unser Handeln, Arbeiten und Herstellen Spuren hinterlassen können und sollten.
Wir können (und sollten)– jenseits des bloßen Bedürfnisses, uns selbst zu erhalten – Zeichen in dieser Welt setzen und damit etwas Dauerhaftes schaffen, die Strukturen bearbeiten, am Erhalt oder Neubau mitwirken.
Denn nochmal: Was wäre die Welt, wenn ich nicht darauf vertrauen könnte, dass vor mir Menschen, die längst gegangen sind, Krankenhäuser gebaut, an wissenschaftlichen Erkenntnissen gearbeitet oder Strukturen geschaffen hätten, die es mir ermöglichten, an einem Ort geboren zu werden, der mich am Leben erhielt – statt irgendwo in einer Höhle, ohne jede Vorstellung von Reinlichkeit, in die Welt geworfen zu werden? Die Liste der Szenarien und Beispiele ließe sich beliebig erweitern.
Als Menschen mit einer begrenzten Aufenthaltsdauer auf diesem Planeten wäre es doch nur logisch zu sagen, dass jeder von uns die Verantwortung trägt, diesen Ort so zu hinterlassen, dass die Neuankömmlinge und zeitweiligen Mitbewohner dieser Welt eben auch darin leben und sich entfalten können – so, wie auch mir diese Welt das ermöglicht hat.
In der Yoga-Philosophie wird die Welt als Prakriti, als materielle Natur oder Bühne beschrieben, auf der das Leben stattfindet. Auch hier geht es darum, dass wir in diese Welt hineinkommen, einen Ort finden, an dem wir etwas schaffen können, sie dann wieder übergeben und das, was wir hinterlassen wollen, bewusst loslassen können. Die materielle Welt, Prakriti, ist zu würdigen, unser Dharma, unsere innere Verpflichtung, gilt es zu erkennen und in unserem Wirkungskreis wirksam zu werden.
Wir sind nur Reisende.
Nach der Yoga-Philosophie tritt das Atman – das Selbst – in der Welt in Erscheinung durch einen angemieteten Körper, den wir eines Tages wieder verlassen müssen, im vollen Bewusstsein der Verantwortung für uns und die Atmans um uns herum, die sich genauso wie wir zurechtfinden müssen.
Warum also ist es richtig, dass wir diese Welt so belassen, dass wir verantwortungsvoll mit ihr umgehen?
Uns gehört nichts, und trotzdem gehört alles allen auf diesem Planeten zugleich. Alle haben einen berechtigten Anspruch darauf, sich in diesem Raum zu entfalten. Ich darf mich nicht über die Bedürfnisse anderer stellen, denn auch die Neuankömmlinge haben ein Recht auf Entfaltung – ebenso wenig wurden sie gefragt, ob sie in diese Welt geworfen werden wollten.
Systeme, die diese Rechte und diese Harmonie nicht respektieren, sind Herrschaften von Tyrannen.
Als Menschen – oder besser gesagt: als spirituelle Wesen, die eine menschliche Erfahrung machen, als zeitweilig Anwesende, zum Handeln fähige Individuen – müssen wir diesen Realitätscheck irgendwann vornehmen und uns entscheiden: Wollen wir einfach so tun, als ende mit mir auch die Welt, oder gibt es ein Danach?
Welche Konsequenzen hat dieses Denken für unseren täglichen Umgang – selbst auf der kleinsten Ebene, in den alltäglichen Begegnungen miteinander? Denk an die zunehmende Gewalt und die psychischen Probleme, die durch Diskriminierung oder Mobbing an öffentlichen Orten – etwa in Schulen – entstehen.
Warum der ganze Trouble selbst in diesem gegenwärtigen Leben? Wie viel friedvoller könnte das Leben in diesem öffentlichen Raum sein, wenn wir verstünden, dass wir alle nur für eine kurze Zeit hier sind – und uns letztlich nichts gehört, oder?