Als ich irgendwann mit 13, 14 Jahren Punkrock entdeckte, war das der Beginn einer Reise zu mir selbst. Erst durch diese Musik begann ich wirklich, so etwas wie einen inneren Raum in mir zu gestalten – aus lautem Sound, aus Ideen, aus Texten, aus Überzeugungen, aus radikalen Aussagen, aus Straight Edge, aus Vegetarismus, aus tiefen, dunklen Emotionen, aus Euphorie, aus Optimismus. Diese Zeit war geprägt durch Schlachten im Außen, durch Abstand zu vielen Menschen um mich herum – und immer von der Frage nach meiner Identität und dem Gefühl, nicht so richtig dazuzugehören.
Dieses Gefühl, nicht von dieser Welt zu sein, war für mich eine absolut existenzielle Erfahrung – eine, die ich bis heute in mir trage. Da hat sich in mir nichts herausgewachsen. Ich glaube, dass wir die Zeit und das Gefühl brauchen, nicht ganz dazuzugehören. Ohne Beobachtung, für dich. Wenigstens für einen Moment.
Martha Nussbaum hat einen interessanten Aufsatz über die Wichtigkeit geschrieben, das innere Leben, unsere innere Welt, nicht zu verneinen oder zu verachten, sondern uns gerade auch für schwierige Zeiten eine innere Welt aufzubauen, die reich ist. In der Außenwelt können wir leicht in eine Falle laufen: uns mit der Welt da draußen und mit ihren Wertmaßstäben, mit äußerer Effizienz oder Oberflächlichkeit zu identifizieren. Dann pflegen wir eine Hülle und kommen abends in ein leeres inneres Zimmer. Was sollen wir dort finden, wenn all die Zeit verschwendet wurde?
Der innere Garten, der gepflegt werden muss, benötigt Raum, Zeit und Aufmerksamkeit. Das kann uns innerlich spalten, weil wir notgedrungen an den Punkt kommen, uns mit diesen Dingen da draußen beschäftigen zu müssen. Es erfordert Arbeit – und die Fähigkeit, dieses Paradox auszuhalten: die Weltzugehörigkeit nicht im Widerspruch zu der immer noch vorhandenen inneren Distanz zu unserer Innenwelt zu sehen. Ich darf Abstand halten. Ich darf immer wieder auch zurückgehen, um Pause zu machen – mindestens täglich, von den inneren und äußeren Kameras und Beurteilungen. Privatsphäre ist wichtig.
Der Theologie Dietrich Bonhoeffer spricht in seinem wohl wichtigsten Werk Nachfolge – im übertragenden Sinn – davon, dass die innere Transformation Arbeit erfordert und kein Komfort ist. Die „billige Gnade“, wie Bonhoeffer aus meiner Sicht eine Vermeidungsstrategie beschreibt, steht für die Taktik, sich in ein mittelmäßiges Leben zu flüchten und nie ganz dabei zu sein, immer mit angezogener Handbremse zu leben. Wir wollen uns unsere Veränderung nichts kosten lassen. Wir versuchen, halbwegs mitzuspielen, tun hier und da etwas Gutes, sind nett und sogar umgänglich – aber im Grunde genommen wollen wir uns nicht tief in unserer Welt und auch mit den unbequemen Dingen auseinandersetzen, die in diesem Raum liegen. Die „teure Gnade“ stellt Bonhoeffer dem gegenüber – die, die wirklich Demut erfordert und innere Konsequenz. Die, welche dich vielleicht etwas erschüttert und dir die Sprache verschlägt. Und dich möglicherweise dein altes Leben kostet. Deine Hingabe und den Willen, den Sprung in das Ungewisse im festen Glauben und Vertrauen wirklich zu wagen.
Auch die Wände dieser Räume können mit billigen Farben und bedeutungslosem Mist, den wir uns selbst als hochwertig verkaufen, angefüllt sein – oder, noch schlimmer, zu einem Abladeplatz für den Müll anderer Menschen werden, den du aus der Welt da draußen hereingeschleppt hast, nachdem du verzweifelt versucht hast, dort das Feuer zu finden, mit dem du das Licht in dir entzündest. Sie kann angefüllt sein mit angefangenen Texten, mit nie ganz ehrlich ausgesprochenen Wahrheiten.
Deshalb: Bau dir deine innere Welt. Achte auf sie. Denn das Gefühl, manchmal fremd zu sein, ist kein Makel, sondern ein Zeichen dafür, dass du nach einer bewussten Beziehung suchst. Wir brauchen Zeit, um über Dinge nachzudenken, Zeit, um mit uns – und vielleicht nur mit unserem Kopfhörer – zu sein. An einem Ort, von dem aus du das baust, was du der Welt zurückgeben kannst.