Wie du beweglich bleibst und trotzdem Halt findest
Es gibt einen Begriff aus dem Zen-Buddhismus, der unser Denken und Handeln revolutionieren kann: den Anfängergeist. Er beschreibt die Fähigkeit, Dinge so zu sehen, als würde man ihnen zum ersten Mal begegnen – ohne Vorurteile, ohne Routinen, ohne das „Das kenne ich doch schon“.
Doch Offenheit allein reicht nicht. Der Anfängergeist braucht etwas, das ihn erdet. Etwas, das ihn davor bewahrt, ziellos von einem Gedanken zum nächsten zu springen. Und das ist Routine.
Was Routine mit Zen zu tun hat
Einer meiner anfänglich stupideren Jobs war bei einem großen Paketdienst. Ich stand an einem Fließband, überprüfte die Paketgrößen und stapelte sie so platzsparend wie möglich in einen Wagen – eine Art dreidimensionales Tetris. Anfangs schien es eintönig, doch mit der Zeit wurde ich schneller, präziser. Ich begann, die Abläufe intuitiv zu erfassen, entwickelte ein Auge für die perfekte Anordnung.
In einem anderen Job musste ich Pakete Postleitzahlen zuordnen. Anfangs war es chaotisch, irgendwann wusste ich ohne Nachdenken, wo welches Paket hingehörte. Noch ein anderes Mal bedruckte ich T-Shirts und Jutetaschen – mit jeder falsch bedruckten Tasche lernte ich dazu, wurde präziser, sparte Material, wurde besser.
Die Lektion? Routine ist nicht das Gegenteil von Lernen – sie ist eine Form davon.
Routine als Raum für Perfektion
Viele fürchten sich davor, in Routine zu erstarren. Doch wenn wir genauer hinsehen, steckt in ihr eine riesige Möglichkeit: die Perfektion von Präzision. Niemand wird ein guter Musiker, ohne immer wieder dieselben Akkorde zu üben. Niemand wird ein guter Handwerker, ohne Schrauben und Reifenwechsel zigfach wiederholt zu haben. Auch in der Meditation ist Routine entscheidend: nicht um „besser“ zu werden, sondern um immer wieder in den Moment zu kommen – egal, wie man sich fühlt.
Das gilt nicht nur für uns Menschen. Der gesamte Kosmos folgt diesem Prinzip. Die Erde dreht sich mit verlässlicher Regelmäßigkeit um die Sonne. Pflanzen wachsen nach programmierten Abläufen. Warum also sollten wir uns gegen Wiederholungen wehren, wenn sie das Fundament von Entwicklung sind?
Der Anfängergeist in der Routine
Routine kann ein stabiler Bestandteil des Lebens sein – solange sie nicht mechanisch wird, sondern ein Raum für Bewusstheit bleibt. Es geht nicht darum, stumpf zu wiederholen, sondern in jeder Wiederholung etwas Neues zu entdecken.
Ein Musiker, der zum tausendsten Mal eine Tonleiter spielt, kann trotzdem jedes Mal hinhören, wie der Klang sich verändert. Ein Barista kann beim hundertsten Cappuccino noch immer die perfekte Crema anstreben. Ein Reifenwechsler kann seine Handgriffe immer weiter verfeinern.
Der Anfängergeist bedeutet nicht, ständig Neues zu tun – sondern das Gewohnte immer wieder neu zu sehen.
Takeaway: Die Balance zwischen Beständigkeit und Entdeckung
Wenn du gerade nicht weißt, wo es für dich hingeht, wenn du das Gefühl hast, festzustecken oder keine Richtung zu haben – schau auf deine Routinen. Sind sie bewusste Übung oder bloße Gewohnheit? Vielleicht brauchst du gerade einen Job mit festen Abläufen, um Stabilität zu finden. Vielleicht brauchst du aber auch eine neue Perspektive auf das, was du schon tust.
Der Anfängergeist sagt: Bleib offen.
Die Routine sagt: Bleib dran.
Beides zusammen? Das ist Fortschritt.