OffTopic: Gedanken zu einem beobachteten Phänomen und ein Appell

Gelegentlich passiert es auch mir, dass ich über da Feld meiner Betätigung laut nachdenke. Folgende Texte können etwas kritischer sein, sollen aber als Anregung dienen und niemals eine Abrechnung sein. 

Es ist schon lange her, ein Gespräch mit einem geschätzten Kollegen, das sich fest in meiner Erinnerung eingenistet hat. Wir saßen da, in unseren handgestrickten Wollpullovern, mit einer Tasse Tee in der Hand – eine Art Ritual der Selbstverständlichkeit in unserem Feld – und redeten über einen Kollegen, der sich beharrlich bis in die Leitungsebene vorgearbeitet hatte. „Ein echter Sozialkarrierist“, murmelte mein Kollege und schaute dabei in seine Tasse, halb schmunzelnd, halb skeptisch. Dieses Wort blieb in mir hängen wie ein Faden, den ich seither immer wieder aufrolle. Der Sozialkarrierist.

Und heute scheint es mir, als sei dieser Begriff nicht mehr nur eine launige Bemerkung, sondern eine wachsende Realität. Ohne Zahlen oder Statistiken in der Hand zu haben, fühlt es sich so an, als gäbe es immer mehr von ihnen in unseren Reihen. Vielleicht ist es der Geist der Effizienz, der nun auch in die soziale Arbeit eingesickert ist – eine Art Rationalität, die auch den sozialen Verbänden und Trägern ihren Stempel aufdrückt. Da ist die Rede von Teilnehmerzahlen, „Erfolgsgeschichten“, vermittelten Personen, von Projekten, die alle schön rund und abgeschlossen wirken sollen. Selbst in der sozialen Arbeit, wo man sich das Menschliche bewahren will, zählt nun, was sich in Kennzahlen fassen lässt.

Aber wer ist er, dieser Sozialkarrierist? Kürzlich habe ich einen getroffen – oder so erschien es mir. Wäre ich gezwungen, ihn zu beschreiben, sähe ich jemanden, der sich in der sozialen Arbeit bewegt, aber nicht ganz dort zu sein scheint. Jemanden, der das Feld versteht, aber gleichzeitig einer Art innerem Ruf nach Effizienz, Struktur und Schlagwörtern wie „Quantifizierbarkeit“ folgt. Er fühlt sich wohl in einer Welt, die von „Optimierung“ spricht, er spricht von Standards, Qualitätssicherung, Nachweisen, als sei dies die eigentliche Essenz dessen, was wir tun. Hier, in diesem Raum, scheint er zu Hause zu sein – eine Welt, in der der Mensch nicht in erster Linie Mensch, sondern Datenpunkt ist.

Er trägt diesen inneren Zwang in sich, alles in festgefügte, ordentliche Bahnen zu lenken. So wird er rasch wahrgenommen, steigt auf in die Führungsebenen, denn seine klaren, strukturierten Worte finden in den Führungsetagen Anklang. Vielleicht passt sein Denken zu einem System, das längst auf Effizienz und Wettbewerb ausgerichtet ist. Früher einmal haben Jugendämter und Träger sich an staatlichen Aufgaben orientiert – heute vergeben sie ihre Aufträge an private Träger, die auf einmal „Unternehmen“ werden, auch wenn sie vielleicht kein Unternehmen sein wollen. Der Wind des Unternehmertums hat uns längst erfasst, und wir werden hineinmanövriert in eine Logik, die mit Zahlen und Profiten hantiert, während wir uns fragen, ob das alles noch mit unserer Idee von sozialer Arbeit vereinbar ist.

Der Sozialkarrierist wird zu einer Art Symbol dieser Veränderung. In seinem Denken sind Menschen ein wenig wie Variablen, die sich optimieren und standardisieren lassen. Er hat keine Mühe, in Begriffen wie „Kunde“ und „Dienstleistung“ zu sprechen, denn für ihn ergibt das alles einen Sinn: Ein Kunde hat Anspruch auf eine Leistung, und der Träger erbringt diese. Effizienz und Zufriedenheit sind in seinen Augen ein zusammenhängendes Paar. Doch gerade hier wächst das Problem: Die Notwendigkeit, den „Kunden“ zufriedenzustellen, verdrängt das, was soziale Arbeit eigentlich ausmachen sollte – Begegnung auf Augenhöhe, ein Dialog, der nicht von vornherein festgelegt ist.

Der Sozialkarrierist bleibt distanziert, stets professionell, immer mit einem Schritt Abstand. Seine Ausbildung in Gesprächsführung und Management gibt ihm ein klares Gerüst – doch fehlt da nicht auch etwas? Die Fähigkeit, Nähe zuzulassen, den Raum zu geben, den es braucht, um wirklich zu verstehen? Seine Welt ist eine Welt der Zahlen und Erfolge, in der auch das Scheitern nur eine Statistik ist.

Ihr, liebe junge Fachkräfte, die ihr mit frischen Ideen und idealistischen Visionen in die soziale Arbeit tretet, steht an einem entscheidenden Punkt. Ihr werdet bald mit den realen Herausforderungen dieses Feldes konfrontiert – mit den Strukturen, die leider zunehmend von Zahlen und Effizienz diktiert werden. Ich möchte euch ermutigen, nicht zu vergessen, was jenseits der Zahlen liegt. Lasst euch nicht von den Erfolgskennzahlen blenden, die in den Führungsetagen geschätzt werden, sondern behaltet im Auge, was soziale Arbeit wirklich ausmacht: die Begegnung auf Augenhöhe, das Verständnis für den Einzelnen, die Entfaltung eines echten Dialogs. und Ihr, liebe „Klienten“, „TN’s“ oder wie ihr sonst beschrieben werdet, bleibt ebenfalls kritisch und nehmt diese Gedanken mit in eure Beratungssitzungen.