Gedanken zum richtigen „Mindset“

Es ist schon interessant, was mittlerweile in den spirituellen Zirkeln und einzelnen Lebensberatungs-Käseglocken an Halbwahrheiten zirkuliert. Vor kurzem ist mir wieder ein Post auf dem Bildschirm geflackert.

Es ging um Mindset und darum, dass wir uns letztendlich dafür entscheiden, wie unser Mindset ist und dass dieses wiederum positive oder negative Dinge in unserem Leben anzieht oder eben abstößt. 

Ich denke, dass die Idee, dass wir maßgeblich für unsere Gedanken verantwortlich sind, nicht prinzipiell falsch ist. Viktor Frankl hat in diesem Zusammenhang eine für mich sehr wichtige Aussage getroffen in seinen Büchern zur Logotherapie, wo es immer wieder darum ging, dass man selbst in den verzweifelndsten Momenten die Freiheit hat, wie man zu den Momenten steht.

Frankl hat Konzentrationslager überlebt und seine gesamten Verwandten dort verloren. Selbst in Momenten, in denen ihm die Pistole an den Kopf gehalten wurde, hat er sich darin geübt, sich in seiner kleinsten Freiheit – der Freiheit, wie er sich zu einer Situation positioniert – zu behaupten. 

Später entstand daraus die Logotherapie, eine wichtige psychologische Schule, die auch für die Pädagogik und Beratung von unschätzbarem Wert ist. Ich halte es für enorm wichtig, Menschen dieses Wissen zu vermitteln: dass wir einen freien Willen haben, dass wir keine psychologischen Roboter sind, wie Frankl es sagt, sondern dass wir in der Lage sind, immer wieder eine Haltung einzunehmen, auch wenn die Situationen und materiellen Umstände hoffnungslos erscheinen.

Plattitüden und Realität

Das ist aber etwas anderes als das, was doch sehr verinfacht zum Thema Mindset teilweise formuliert wird. Dass wir letztendlich alleine verantwortlich sind für alles? So einfach ist es nicht.

Auch Frankl, der das Konzentrationslager überlebt hat, hat immer wieder vor den Gefahren des Faschismus gemahnt und war keinesfalls ein ichbezogener Individualist, der daran glaubte, dass jeder nur für sich allein und sein Schicksal verantwortlich ist. Sein gesamtes Leben widmete er später der klinischen Forschung und Psychiatrie und damit dem Wohlergehen anderer Menschen. Er hat in Krankenhäusern gearbeitet und damit dem Gemeinwohl seine wertvolle Arbeit geopfert. Oft in der Arbeit mit den Letzten in der Gesellschaft.

Wenn wir es wirklich ernst meinen und Menschen helfen wollen, dann müssen wir die Probleme verstehen, die diejenigen beschäftigen, die ganz unten an der sozialen Kette stehen. Die arbeitslosen Single-Mütter und Väter, die keinerlei Chancen haben, auf dem Arbeitsmarkt weiterzukommen. Diejenigen, die misshandelt wurden, die diskriminiert wurden, denen Chancen verwehrt wurden.

Diesen Menschen kann man helfen, indem man ihnen interne Strategien anbietet. Aber man muss sich darüber klar sein, dass bei vielen Menschen der Hoffnungszug schon lange abgefahren ist und dass die Arbeit etwas komplexer gestaltet werden muss, als einfach Plattitüden anzubieten. Ohne Zweifel kann es hochmotivierend sein, wenn wir mit paradoxen Interventionen und guten Fragen an den Kern dieser Menschen herankommen. Aber es ist eben harte Arbeit und nicht immer von Erfolg gekrönt. 

Mehr soziales Mindset

Wie wäre es, ein Gemeinwohl zu organisieren, das diese Menschen auffängt? Hier stelle ich mir die Frage, wie es mit dem Mindset derjenigen steht, die Entscheidungsträger sind, die Machtpositionen haben und entscheiden können – oder sich öffentlichwirksam hinstellen und über diskriminierte Gruppen oder Flüchtlinge polemische Aussagen treffen, wie etwa, dass diese sich hier in Deutschland nur die Zähne machen lassen und auf unsere Kosten leben.

Diese Menschen haben Machtpositionen, und sie sind es, die maßgeblich Entscheidungen für das Gemeinwohl treffen können. So ist unsere Demokratie und unser Staatswesen organisiert. Ich muss wählen gehen und aktiv in Entscheidungsprozesse eingreifen und jemand bekommt von mir diese macht und das Vertrauen, diese Aufgabe gewissenhaft umzusetzen. Mit dem entsprechenden Mindset.

Wie geht es den Letzten in der Kette,  und wie könnrn sich diese durchaus selbstverantwortlich aus ihrer Krise retten, wo aber muss auch das Gemeinwohl Bedingungen schaffen, damit ein Growth Mindset entstehen kann?

Das ist der Ausgangspunkt aller Diskussionen um irgendwelche Optimierungen und Mindsets jenseits von Plattitüden irgendwelcher selbsternannter Mindset Gurus, die oft nur selbstzentrierte Persönlichkeiten sind und mit ihrem Schwachsinn viele Klicks generieren.